Marktoberdorf

Samstag 23.08.2025:

Meine Reise in die idyllische Kleinstadt im Allgäu sollte eigentlich pünktlich um 9:56 Uhr ab Übersee starten. Leider hatte meine Regionalbahn in Richtung München eine Verspätung von etwa 10 Minuten, da die Grenzkontrollen in Freilassing länger dauerten als geplant. Dadurch musste ich meine ursprüngliche Route über den Münchner Hauptbahnhof und Buchloe ändern. Stattdessen nahm ich die S-Bahn von München Ost nach München Pasing. Diese alternative Verbindung funktionierte zwar reibungslos, doch ab München Pasing war die Regionalbahn nach Buchloe stark ausgelastet, sodass es leider unmöglich war, einen Sitzplatz zu finden. Einerseits ist es erfreulich zu sehen, dass der öffentliche Nahverkehr von so vielen Menschen genutzt wird, andererseits zeigt dies, dass Politik und Verkehrsverbünde das Angebot besser an die steigende Nachfrage anpassen sollten. Positiv hervorzuheben ist, dass die Mitreisenden trotz der Enge im Zug entspannt blieben und sich die gute Laune nicht verderben ließen.

Ab Buchloe in Richtung Marktoberdorf entspannte sich die Situation deutlich: Die Anschluss-Regionalbahn war angenehm leer, und alle Reisenden fanden problemlos einen Sitzplatz. Besonders positiv ist mir die Zugbegleiterin aufgefallen, die äußerst professionell agierte. Selbst als eine Mitreisende ihr Ticket nicht vorzeigen konnte – angeblich, weil sie kein Internet hatte und das Ticket nicht herunterladen konnte – blieb sie ruhig und souverän. Allerdings eskalierte die Situation, als eine andere Mitreisende sich ungefragt einmischte und die Zugbegleiterin aufs Übelste beleidigte. Diese entschied schließlich, die unhöfliche Mitreisende in Marktoberdorf aus dem Zug zu verweisen. Beim Aussteigen unterhielt ich mich mit einem jungen Paar, das die Auseinandersetzung ebenfalls beobachtet hatte. Wir waren uns einig: Es scheint, als würden immer mehr Menschen im öffentlichen Raum aggressiv und rücksichtslos auftreten. Solche Erlebnisse sind zum Glück nicht alltäglich, sie zeigen jedoch, wie anspruchsvoll der Umgang mit manchen Reisenden sein kann. Mein größter Respekt gilt der Zugbegleiterin, die in dieser hitzigen Situation bemerkenswert ruhig und professionell geblieben ist.

Bei meiner Ankunft in Marktoberdorf führte mich mein erster Weg direkt zum Startpunkt der Lauschtour durch die Stadt. Dieser befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Kurfürstenallee und dem barocken fürstbischöflichen Jagdschloss, das im 18. Jahrhundert von Clemens Wenzeslaus während der Sommermonate genutzt wurde. Die rund 2 Kilometer lange Kurfürstenallee diente damals vor allem als Promenade, ideal für Spaziergänge und das sogenannte Lustwandeln. Die alten Lindenbäume der Allee bieten heute dem Lindenprachtkäfer einen idealen Lebensraum. Wenn Sie zwischen Mai und Juli unterwegs sind, haben Sie gute Chancen, diesen beeindruckenden Käfer dort zu entdecken.

Am Jagdschloss angekommen, fällt als erstes die beeindruckende Größe des Gebäudes ins Auge – es verfügt über ganze 72 Zimmer. Interessanterweise wurde das Schloss jedoch nur während der Sommermonate und dann auch nur für wenige Wochen von den Augsburger Fürstbischöfen bewohnt. Den Rest des Jahres stand es leer. Heute wird das Gebäude vielfältig genutzt: Es beherbergt unter anderem die Bayerische Musikakademie sowie das Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung. Mit etwas Glück können Sie im Richard-Wengenmeier-Saal einen Blick auf Musiker erhaschen, die dort proben. Der Saal wird übrigens auch von Schülern der örtlichen Schulen für Musikunterricht genutzt.

Im Innenhof des Schlosses können Sie die beeindruckende Größe des Gebäudes noch einmal auf sich wirken lassen. Im Erdgeschoss befanden sich die Arbeitsräume der Bediensteten, darunter die Hofküche, Konditorei, Wäscherei sowie die Garagen für die Pferdekutschen. Die darüberliegenden beiden Etagen waren den Wohnräumen der herrschaftlichen Bewohner vorbehalten. Ein Blick auf das Dachgeschoss zeigt, dass dort sogar noch zwei weitere Stockwerke untergebracht sind, die als Lager genutzt wurden. Doch warum entschied sich der Fürstbischof von Augsburg ausgerechnet für Marktoberdorf als Standort? Die Antwort liegt in seinem Hobby: der Jagd. Die umliegenden Wälder boten reichlich Wild und ideale Bedingungen für seine Leidenschaft.

Der Rundgang führt uns weiter zur nahegelegenen Pfarrkirche St. Martin, die mit ihren beiden kleinen Kapellen unterhalb der Kirche ein weiteres Highlight darstellt. In der rechten Kapelle befindet sich die sogenannte Besenkapelle, deren Geschichte Stadtführer Herbert Eigler wie folgt beschreibt:

„Im Allgäu gab es früher mehrere Besenkapellen, heute sind es nur noch ganz wenige. Der Besen ist ja ein reinigendes Instrument. Und hier in der Besenkapelle in St. Martin wurden Besen geopfert, um die Haut zu reinigen. Bei Hautkrankheiten kamen die Marktoberdorfer mit einem möglichst selbstgemachten Besen in der Früh schweigend hier in die Besenkapelle und opferten einen Besen. Und es sollte vor allem helfen bei Furunkeln, im Allgäu auch die Eisen genannt.“

Unterhalb der Kirche St. Martin steht das Kriegerdenkmal der Stadt, das im Jahr 1931 errichtet wurde. Dieses beeindruckende Denkmal wurde ursprünglich geschaffen, um an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs zu erinnern. Später ergänzte man die Namen der Opfer des Zweiten Weltkriegs. Ein Besuch dieses Denkmals hinterlässt einen bleibenden Eindruck und vermittelt eindringlich die Botschaft, dass Krieg niemals eine Lösung für Konflikte sein kann. Er zeigt, wie sehr vor allem die Zivilbevölkerung und unausweichlich die Soldaten darunter leiden, ihr Leben für sinnlose Auseinandersetzungen zu verlieren.

Die Lauschtour führt uns weiter hinab zum Alten Markt, über eine recht steile Treppe, die von majestätischen Maulbeerbäumen gesäumt wird. Im 18. Jahrhundert hatte Clemens Wenzeslaus hier den ehrgeizigen Plan, Seidenraupen zu züchten, um Seide zu produzieren und so zusätzliche Einnahmen für die Gemeinde zu generieren. Doch das Experiment scheiterte, da das Klima im Allgäu zu rau für die aus Asien stammenden Seidenspinner war.

Am Alten Markt angekommen, wird die Geschichte hinter dem Namen MARKTOberdorf lebendig. Im Jahr 1453 erhielt das kleine Dorf das Marktrecht, wodurch hier Viehmärkte und andere Veranstaltungen abgehalten werden durften. Bis heute wird dieses historische Ereignis zweimal im Jahr mit großen Jahrmärkten gefeiert: im Frühling mit dem Urbanimarkt und im Herbst mit dem beliebten Martinimarkt. Der Alte Markt lädt außerdem zum entspannten Schlendern ein, und in der Buchhandlung OSIANDER können Sie gemütlich stöbern und Ihr Wissen mit inspirierenden Büchern bereichern.

Der Weg führt uns weiter zum Alten Rathaus, das im 18. Jahrhundert errichtet wurde. Die markante Architektur lässt die Entstehungszeit sofort erkennen. Besonders auffällig ist die weiße Büste des Fürstbischofs Clemens Wenzeslaus, die im Giebel des Gebäudes thront. Der Stadtführer Herbert Eigler erklärt, dass Clemens Wenzeslaus bereits zu Lebzeiten durch diese Büste von den Bürgern der Stadt geehrt wurde – ein Zeichen ihrer Wertschätzung und Anerkennung.

„Er war leutselig. Es gibt viele Überlieferungen, die das belegen. Zum Beispiel ließ er Bauern, die auf dem Feld waren, oft heimlich Gulden zukommen. Er steckte ihnen Münzen in die am Rand liegende Kleidung. Er spendete viel Geld für verschiedene Zwecke des Ortes und er ließ große Sachen bauen, wie zum Beispiel die Lindenallee.“

Hinter dem Rathaus erblicken wir die Frauenkapelle, ein eindrucksvolles Zeugnis des Glaubens ihrer Zeit. Diese sogenannte Werktagskapelle wurde errichtet, um den Bürgern den täglichen Kirchgang zu erleichtern. Momentan befindet sich die Kapelle sowohl innen als auch außen in einer Bauphase, dennoch ist ein Besuch absolut lohnenswert. Hier können Sie zur Ruhe kommen, neue Kraft tanken und sich für die Herausforderungen des Alltags stärken.

In der Salzstraße in Marktoberdorf angekommen, erfahren wir, dass Clemens Wenzeslaus im 18. Jahrhundert den Salzhandel in die Stadt holte. Dadurch erlebte Marktoberdorf einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Salz, oft als „weißes Gold“ bezeichnet, war damals unverzichtbar, da es die einzige Möglichkeit bot, Lebensmittel haltbar zu machen. Die Zolleinnahmen durch den Salzhandel brachten der Stadt beträchtlichen Wohlstand.

In vielen Städten im Allgäu und anderen Regionen Deutschlands wurden Stadtmauern errichtet, um die Bewohner vor Angriffen zu schützen. In Marktoberdorf hingegen fiel der Schutz etwas weniger imposant aus: Statt einer Mauer errichtete man im 15. Jahrhundert einen Erdwall zur Verteidigung. Von der Straße „Am Graben“ aus lassen sich noch heute Überreste dieses Walles erkennen. Wenn Sie die Straße weiter hinaufgehen, stoßen Sie auf eine graue Mauer mit einem Gittertor. Dahinter befindet sich der historische Eis- und Bierkeller der Stadt. Damals wurden Lebensmittel, ähnlich wie Salz, in kühlen Kellern gelagert. Dieser Keller wurde tief in den Berg gegraben und mit Eisblöcken gefüllt, um die eingelagerten Waren optimal zu kühlen.

Eis und Kälte sind auch das Thema des nächsten Lauschpunkts auf Ihrer Tour durch Marktoberdorf. Während der letzten Eiszeit bedeckte ein etwa 300 Meter dicker Eispanzer das Gebiet. Durch diesen entstand auch der Hausberg der Stadt, die „Buchel“. Der Buchel ist ein sogenannter Moränenhügel, der von einem Gletscher aufgeschoben wurde.

Heute ist der Buchel ein wunderschöner Ort zum Spazierengehen und lädt durch seinen liebevoll gestalteten Spielplatz besonders Kinder und Jugendliche zum Verweilen ein.

Bei klarem Wetter genießen Sie in unmittelbarer Nähe der malerischen Wendelinskapelle eine beeindruckende Aussicht auf die Alpen. Doch selbst bei etwas eingeschränkter Sicht lassen sich die majestätischen Berge in der Ferne erkennen. Auf dem Bergpfad könnten Sie sogar auf eine sagenumwobene Gestalt treffen: Rübezahl. Rübezahl, der Berggeist, stammt ursprünglich aus dem Riesengebirge zwischen Polen und Tschechien. Mit seinem Zauberstab soll er in der Lage sein, Rüben in jede erdenkliche Gestalt zu verwandeln. Josephine Berger, Archivarin und Kennerin der Legenden, beschreibt ihn wie folgt:

„Er ist der Herr der Berge, er kann jegliche Gestallt annehmen, von klitzeklein bis riesengroß, und taucht regelmäßig den Menschen in verschiedenen Lebenssituationen auf, rügt sie, bestraft sie, lobt sie, scherzt mit ihnen, belehrt sie über Gut und Böse, schenkt ihnen was und ist vor allem bei den Kindern dort eine sehr, sehr berühmte und bekannte Sagengestallt.“

Man mag sich fragen, wie eine Sagengestalt aus dem Riesengebirge ihren Weg ins Allgäu gefunden hat. Die Antwort darauf liegt in der großen Flüchtlingswelle nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals kamen etwa 1.800 Menschen aus der deutschen Bevölkerung des Riesengebirges nach Marktoberdorf.

Hier endet die Lauschtour. Auf der Homepage der Tourismusinformation der Stadt finden Sie eine Vielzahl spannender Stadtführungen. Ein Besuch im Stadtmuseum ist ebenfalls sehr empfehlenswert. Bitte beachten Sie dabei die geltenden Öffnungszeiten.

Marktoberdorf ist in jeder Hinsicht eine Reise wert. Die charmante Innenstadt bietet zahlreiche Möglichkeiten, Ihre Zeit abwechslungsreich zu gestalten. Besonders angenehm ist, dass die Stadt nicht überlaufen ist, sodass Sie in Ruhe die vielen Schönheiten der Umgebung entdecken können. Lassen Sie sich von Marktoberdorf überraschen – vielleicht bei einer entspannten Bahnfahrt dorthin!